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Der Literat Tacitus stiftet Gerechtigkeit

Werner Suerbaum


Pages 235 - 254



Ein einziges Mal gesteht Tacitus in seinen Annales (4,71,1), er möchte hier am liebsten das strikte annalistische Prinzip des ‚suum quaeque in annum referre‘ durchbrechen. Er hatte zuvor mit kaum unterdrückter Entrüstung berichtet, wie im J. 27 unter Kaiser Tiberius der römische Ritter Titius Sabinus, ein Freund der Familie des Germanicus, durch eine Intrige von vier Senatoren, die sich persönlich zu hinterhältigem Abhören entwürdigten, als Majestätsverbrecher diffamiert und am Neujahrstag des J. 28 hingerichtet wurde (ann. 4,68–70). Der Fall erzeugte ein Klima der Angst und des gegenseitigen Misstrauens selbst unter Freunden. Der Literat Tacitus sieht die Möglichkeit, durch einen vorgezogenen Bericht über die wenige Jahre später erfolgte Bestrafung der intriganten Delatoren auf die Schuld sofort die Sühne folgen zu lassen; der Historiker Tacitus unterwirft sich aber hier (anders als bei drei späteren Gelegenheiten in den Annales: 6,38,1; 12,40,5; 13,9,3) der traditionellen annalistischen ‚dispositio‘ der Erzählung. Aber er stiftet doch ausgleichende Gerechtigkeit: durch einen Vorverweis.

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