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Jacobus Balde SJ als Erotiker Beitrag

Zum 350. Todestag von Bayerns größtem Dichter

Wilfried Stroh

Gymnasium, Jahrgang 125 (2019), Ausgabe 6, Seite 537 - 585

Christentum bedeutete für den Jesuiten Balde weniger Nächstenliebe als Askese, Hinwendung zu Gott, Abwendung von der Welt und ihren Freuden. Dazu gehörte für ihn zentral die Geschlechtsliebe, der er in einem spektakulären Bekehrungserlebnis entsagt haben will. In Baldes Erstlingswerk De Dei et mundi amore vertritt der heidnische Liebesgott Cupido, als Gegenkraft zu Christus, schlechtweg die Weltliebe. Ihm abzusagen heißt aber nicht, ihn aus dem dichterischen Werk fernzuhalten, im Gegenteil: Baldes zahllose Gedichte und Prosimetra sind durchzogen von der immer neuen, oft überraschenden, meist humorvollen Auseinandersetzung mit dem Erotischen, die dem Grundgedanken treu bleibt, dass an allem Unglück irgendwie Cupido schuld ist, z. B. am Dreißigjährigen Krieg wie am Froschmäusekrieg. Dieser verheerende Affekt ist es, den der Kaiser Maximilianus I. als ersten überwinden musste, um wahrhaft groß zu werden. Freundlicher, aber nicht ohne Ironie, bewertet Balde das höfische Minneideal, das in seiner Tragödie Jephtias ein feuriger Ägypter verkörpert. Als Baldes greiser Kurfürst wieder heiratet, ersetzt er in seinem Epithalamion das Erotische durch eine in Gott Hymen verkörperte katholische Eheanbahnung. Konventioneller sind seine Sittenpredigten, vor allem gegen die Decolletés deutscher Mädchen. Singulär aber ist seine Darstellung der sexuellen Qualen bzw. Anfechtungen, denen der Asket ausgesetzt ist. In seinem großartigen erotischen Spätwerk Urania victrix, wo die der Welt zugeordneten fünf Sinne ein dem Himmel geweihtes Mädchen als Ehekandidaten mit ovidischen Briefen bedrängen, werden die Angebote der Welt so sachgerecht beschrieben, dass man auf die Idee kommen konnte, Balde liebäugle mit der Gegenseite. Aber an seiner Präferenz für den Himmel hat er nie einen Zweifel gelassen.


‚Citius altius fortius‘? Beitrag

Was die Antike über den Fortschritt dachte

Wilfried Stroh

Gymnasium, Jahrgang 123 (2016), Ausgabe 2, Seite 115 - 144

Die Idee des Fortschritts, wonach die Menschheit sich stetig zum Besseren hin entwickle, ist seit der Franzosischen Revolution vielfach in Misskredit gekommen: durch ungluckliche Ideologien, die sich ihrer bemachtigt haben, durch den Missbrauch technischer Erfindungen zu Krieg und Volkermord und durch verheerende Nebenwirkungen wie den zur Zeit viel diskutierten Klimawandel. Die Antike kennt nicht die Vorstellung eines universellen Fortschritts, der auch in die Zukunft weiterginge, sondern nur den einer partiellen Fortentwicklung einzelner Erfindungen und Wissenschaften. Immerhin kann so Seneca sogar die Entdeckung Amerikas prophezeien. Im Allgemeinen aber enden die bekannten Kulturentstehungstheorien, etwa bei Platon und Lukrez, in der Gegenwart. Das beruhmte Stasimon des Sophokles uber den „ungeheuren Menschen“ feiert den Geist, nicht die Fortschrittlichkeit des Menschen und ist tief ironisch. Allen Fortschrittsideen entgegen steht seit Hesiods Weltaltermythos die Idee einer generellen moralischen Dekadenz, die besonders von den Kynikern, aber auch von Horaz und Ovid mit der technischen Entwicklung gekoppelt wird. Eine Sehnsucht nach neuen technischen Erfindungen gibt es kaum: Der „Traum vom Fliegen“, den man gerne der Antike zuschreibt, kam nachweislich erst dann auf, als die erste Montgolfiere abgehoben hatte. Es war vielleicht die Entgottlichung des Kosmos durch das Christentum, die den technischen Fortschritt entfesselte und die uns Heutige am tiefsten vom antiken Denken scheidet. Dennoch beruhrt sich das Ideal des „einfachen Lebens“, wie es die fortschrittskritischen Denker Epikur und Seneca vertraten, nicht nur oberflachlich mit den Postulaten moderner Fortschrittskritiker.

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